Fürstliche Schätze
12. September 2018 | Lifestyle
Direktor Johann Kräftner leitet die Fürstlichen Sammlungen, zu denen nicht nur kostbarste Kunstwerke, sondern auch grandios restaurierte Gebäude zählen. Auf einem Rundgang durch das prachtvolle Stadtpalais Liechtenstein im Herzen Wiens lernen wir den leidenschaftlichen Kunstsammler, Architekten und Autor von einer sehr persönlichen Seite kennen.

Johann Kräftner kann nicht anders. Wenn er die jüngste Neuerwerbung der Fürstlichen Sammlungen betrachtet, beginnt er augenblicklich strahlend zu lächeln. Die kostbare Büste ist mehr als fünfhundert Jahre alt und zeigt den römischen Kaiser und Philosophen Mark Aurel, der einen Teil seiner berühmten «Selbstbetrachtungen» im 2. Jahrhundert n. Chr. im Militärlager Vindobona verfasste. Und hier schliesst sich der Kreis: Aus der antiken römischen Siedlung wurde später Wien, wo wir im 3. Jahrtausend n. Chr. im Kunstdepot des Stadtpalais Liechtenstein einen exklusiven ersten Blick auf diese feuervergoldete Bronzebüste werfen dürfen. Es war kurz vor Weihnachten 2016, als der Deal bei einem Londoner Kunsthändler über die Bühne ging. Erst im Sommer 2017 wird der weit gereiste Mark Aurel im Rahmen der Präsentationen eines Teils der Fürstlichen Sammlungen öffentlich ausgestellt werden. Den Grundstock dieser Kollektion hatte bereits Fürst Karl I. zu Anfang des 17. Jahrhunderts gelegt. Vier Jahrhunderte später wird das neue Exponat vom Tiefspeicher in der Innenstadt ins Gartenpalais Liechtenstein in der Wiener Rossau übersiedeln.

Der Architekt als kunstsinniger Stratege
Über die Restaurierung dieser beiden barocken Palais knüpfte Johann Kräftner (Jahrgang 1951) vor fast zwanzig Jahren die Bande zur Fürstlichen Familie. Er hatte in Wien Architektur mit Schwerpunkt Kunstgeschichte und Denkmalpflege studiert und war bis 1998 an der Technischen Universität der Lehre verpflichtet. Nachdem er gleichzeitig auch viele Ausstellungen in Europa konzipiert und gestaltete, war Kräftners erste grosse Aufgabe für Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein die künstlerische Leitung eines Umbaus, und zwar des damals sehr renovierungsbedürftigen Gartenpalais.
Mehr als fünf Jahre lang dauerte die Sanierung des Stadtpalais Liechtenstein, das ein barockes Juwel in der Wiener Innenstadt ist und vor vier Jahren unter grossem Interesse der kunstsinnigen Experten und Medien wieder eröffnet wurde.


Tausend angekaufte Objekte
Die adeligen Ahnen des Fürstenhauses begannen bereits vor Jahrhunderten gezielt anzukaufen. Einige Schätze, wie etwa das «Porträt der Ginevra de Benci» von Leonardo da Vinci, mussten krisenbedingt nach dem Zweiten Weltkrieg zu Geld gemacht werden. Aber die meisten schmerzlichen Verluste sind mittlerweile kompensiert, weil seit 1977 fast tausend Objekte angekauft wurden – von der Porzellantasse bis zum Roentgen-Möbel, von Rubens‘ Ölskizzen bis zum restituierten Biedermeiergemälde Friedrich von Amerlings. Die Sammlungen des Fürsten von und zu Liechtenstein umfassen Hauptwerke europäischer Kunst aus fünf Jahrhunderten und gehören zu den bedeutendsten Privatsammlungen der Welt. Ihre Anfänge liegen im 17. Jahrhundert und wurzeln im barocken Ideal kunstsinnigen fürstlichen Mäzenatentums. Das Haus Liechtenstein hat dieses Ideal über Generationen konsequent gepflegt und die Bestände planvoll ergänzt. Kräftners Job ist es, durch eine aktive Ankaufspolitik die Sammeltätigkeit fortzusetzen.
Direktor Kräftner ist aber nicht nur mit der Erweiterung der Sammlung befasst, sondern auch mit dem Clearing. Da die Fürstenfamilie neben den grossen, wie Fort Knox gesicherten, Kunstdepots in Wien und Vaduz kein weiteres errichten lassen wird, muss immer wieder Platz geschaffen werden. Nicht zuletzt purzelte über die Jahrhunderte einiges in die Sammlung, das zwar sehr kostbar ist, aber thematisch nicht wirklich ins Konzept passt. Und so leitete Kräftner bereits zwei international sehr beachtete Versteigerungen ein, die von Sotheby’s London und Christie’s Amsterdam abgewickelt wurden.
Sozialkritische Biedermeier-Maler
Wer in den Genuss kommt, von Johann Kräftner durch die Repräsentationsräume des Stadtpalais geführt zu werden, erlebt einen Kunstkenner, der im Beruf zweifellos seine Berufung gefunden hat. Glückselig erweckt er Gemälde zum Leben, indem er deren Einzigartigkeit so logisch erklärt, dass Zuhörer gar nicht anders können, als die Sozialkritik des Biedermeier-Malers Ferdinand Georg Waldmüller zu verstehen. Wer «Die unterbrochene Wallfahrt» aus dem Jahr 1853 betrachtet, sieht eine fast fotorealistisch festgehaltene Szene, in der eine Pilgerin mangelernährt zusammenbricht. Barfuss und in ärmliche Kleidung gehüllt sitzt sie auf der blanken Erde, gestützt von Frauen und Männern, die sie laben.
Es sagt viel über einen Menschen, wenn man betrachtet, für welche Art von Kunst er bereit ist Geld auszugeben. Die Werte und Prioritäten der heutigen Generation der Fürstenfamilie decken sich offenbar mit jenen ihrer Ahnen, was erklären könnte, warum sie überhaupt nicht in Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts investieren. Der Direktor der Fürstlichen Sammlungen schlägt bei seinem Rundgang immer wieder Brücken in die Gegenwart. Lachend öffnet er die Seitentüre einer Spieluhr, die er als «Jukebox aus dem Jahr 1793» bezeichnet und lauscht den erklingenden Tönen andächtig. Gleich daneben steht ein Biedermeier-Schreibtisch, den er als «erstes Designermöbel» bezeichnet, entworfen und gebaut 1825 vom Ebenisten (Kunsttischler) und Maler Josef Franz Danhauser.

Jubiläen, Tourneen und Sonderschauen
Demnächst werden die Leihgaben aus Bern zurückkehren. 2018 werden viele Kisten mit Objekten der Fürstlichen Sammlung zu einer grossen Ausstellung nach Seoul ins Palastmuseum geflogen. Die Kunstspediteure werden zwischen Wien, Vaduz und den National Galleries der USA und Kanada unterwegs sein, und schliesslich steht 2019 im Zeichen von «300 Jahre Fürstentum Liechtenstein» – grosse Ausstellungen zu diesem Ereignis in der Wiener Albertina und im Vaduzer Kunstmuseum sind geplant. Ein Jahr später, 2020, steht eine Ausstellungstournee durch Nordamerika mit Washington, Ottawa und Houston auf dem Programm. Und 2021 zelebriert die LGT Bank ihr einhundertjähriges Jubiläum, das mit Anlässen in wichtigen Museen der Welt gefeiert werden soll. Neben all diesen Aktivitäten verfasst Kräftner immer wieder beeindruckende Kunstbücher rund um die Fürstlichen Sammlungen und die beiden Barockpalais.
Der Rundgang endet mit einer weiteren Überraschung. Kräftner fährt ins erste Tiefgeschoss, wo sechs Meter hohe Hallen perfekt klimatisiert sind. Dort strahlt der goldene Mark Aurel und wartet darauf, wieder Tageslicht zu sehen. Unter ihm sind noch zwei weitere Depotetagen, jeweils vier Meter hoch. Hätte der Feldherr vor knapp zweitausend Jahren eine Zeitreise in dieses Stadtpalais angetreten, dann würde er sich wundern, dass Häuser unter der Erde jetzt genauso hoch sind wie von der Strasse aus betrachtet nach oben.