Interview mit Jean-Claude Biver
5. September 2018 | Interview
Jean-Claude Biver (geboren am 20. September 1949) begann seine Karriere in der Welt der Uhren im Vallée de Joux bei Audemars Piguet. Im Jahre 2014 wurde Jean-Claude Biver zum Leiter des Uhrengeschäftes bei LVMH ernannt. Seither verantwortet er die Marken Hublot, TAG Heuer und Zenith. Während bei Hublot Ricardo Guadalupe die Fäden zieht, mischt Biver aktiv im Tagesgeschäft bei TAG Heuer und Zenith mit. Das Geschäft bei TAG Heuer läuft seither wieder prächtig, bei Zenith steht noch viel Arbeit an, doch wir dürfen davon ausgehen, dass Biver auch hier Erfolg haben wird. An seiner Seite arbeitet seit ein paar Monaten Julien Tornare, der neue CEO von Zenith. Jean-Claude Biver ist ob seines Charismas ein gut gebuchter Redner bei diversen Veranstaltungen und Kongressen. Zuletzt war er am Unternehmertag in Vaduz, der unter dem Motto «Digitalisierung, die unternehmerische Herausforderung» im April 2017 stattfand, live zu sehen.
Herr Biver, Sie haben nach der Quarzkrise als einer der Ersten wieder an die mechanische Armbanduhr geglaubt und damals mit viel persönlichem Engagement und Risiko die Marke Blancpain wiederbelebt. Man sagt, Sie gaben damals die Initialzündung für die Renaissance der mechanischen Uhr. Rückblickend, was waren da die schönsten und spannendsten Momente?
Jean-Claude Biver: Der bis dato aufregendste und schönste Moment meines beruflichen Lebens war jener, als ich zusammen mit Jacques Piguet für 22 000 Schweizer Franken die Marke Blancpain kaufte. Dann besassen wir eigentlich nur einen nackten Namen und fingen erst wieder bei Null an. Nach 1735, dem Gründungsjahr von Blancpain, haben wir ab dem Jahre 1982 die Geschichte der altehrwürdigen Manufaktur fortgeschrieben. Glauben Sie mir, das war natürlich extrem emotional, reizend und interessant.
Glauben Sie auch heute noch, so wie damals, an die Zukunft der mechanischen Armbanduhr?
Ja natürlich! Je mehr Smartwatches es geben wird und diese von Millionen Menschen getragen werden, desto mehr Interesse wird es für mechanische Uhren und die traditionelle Uhrmacherkunst geben. Ich bin überzeugt, dass die Smartwatch in dem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt: Letztendlich promotet sie tickende Kunst und Kultur am Handgelenk.

Sie haben bei LVMH, unter der Leitung von Guy Sémon, ein effizientes und schlagkräftiges R & D-Team aufgebaut, das sich mit der Zukunft der mechanischen Armbanduhr beschäftigt. An welcher Art von smarten Innovationen arbeitet Ihr Team, damit das Thema mechanische Armbanduhr weiterhin attraktiv bleibt?
Wir arbeiten derzeit an zwei Fronten: Auf der einen Seite entwickeln wir unsere TAG Heuer Connected weiter, auf der anderen Seite arbeiten wir an der Zukunft der Tradition. Ich glaube, dass die Tradition eine Zukunft hat und diese ebenso braucht. Übt man sich fleissig am Wiederholen der Tradition, riskiert man, dass sie ein Stück Museum wird. Daher entwickeln wir laufend emsig neue Materialien und Farben, haben soeben unsere revolutionäre Hemmung vorgestellt und arbeiten an der Fertigstellung unserer eigenen Spirale und an neuartigen mechanischen Antrieben.
"Wir haben soeben unsere revolutionäre Hemmung vorgestellt und arbeiten an der Fertigstellung unserer eigenen Spirale und an neuartigen mechanischen Antrieben."
Die von Ihnen gerade angesprochene, revolutionäre Uhrwerkshemmung ist tatsächlich smart. Nur ein einziger Bauteil ersetzt dabei 31 Bauteile einer konventionellen Schweizer Ankerhemmung. Die Hemmung hat in einer Armbanduhr von Zenith ihre Premiere gefeiert und wird dann bei Zenith in die Kollektionen einfliessen. Mittelfristig wird diese neue, geniale Hemmung auch bei Hublot und TAG Heuer zum Einsatz kommen und vielleicht sogar an Dritte verkauft. Das hört sich ja an wie eine kleine Palastrevolution in der Schweiz, da bleibt ja kein Stein auf dem anderen.
Ja, es ist tatsächlich eine Revolution! Es ist die erste fundamentale Neuentwicklung seit dem Jahre 1675, als der holländische Mathematiker Huygens die Pendeluhr erfunden hatte. Tatsächlich funktionieren heute noch alle mechanischen Uhren nach diesem jahrhundertealten Prinzip. Unsere neue Hemmung hingegen birgt eine Fülle von Vorteilen gegenüber der traditionellen Variante. Wir werden sie vorerst selbst nutzen, sie aber auch in circa drei bis fünf Jahren an Dritte verkaufen können.
Norman Huber ist seitdem Sie im Jahre 2004 Hublot übernommen hatten und zu neuen Höhen führten ein treuer Weggefährte und Partner der Marke. Hublot war in den letzten Jahren stets der Vorreiter bei innovativen Gehäusematerialien. Welche Art von Entwicklungen ist heute in der Pipeline. Liegt der Fokus jetzt neuerdings auf ultraleichten Materialien?
Ja, Norman Huber hat von Anbeginn an die Marke geglaubt. Ausgefallene, innovative Materialien und eine markante Optik waren stets das Alleinstellungsmerkmal von Hublot und sind nach wie vor ein sehr wichtiger Faktor. Hublot entwickelt zudem viele seiner Uhrwerke selbst, die letzten waren ein neues Tourbillon und die «Mecca-10». Weitere Neuigkeiten mit neuen Funktionen und in einem neuen Look werden folgen.
"Ausgefallene, innovative Materialien und eine markante Optik waren stets das Alleinstellungsmerkmal von Hublot und sind nach wie vor ein sehr wichtiger Faktor."
TAG Heuer ist seit den 1980er-Jahren bei Huber Fine Watches & Jewellery vertreten. TAG Heuer hat, nachdem Sie auch für diese Marke die Verantwortung übernommen haben, wieder richtig Fuss gefasst und sich zur interessanten Einsteigeruhr entwickelt. Sie haben die Marke mit interessanten, preislich attraktiven Produkten wiederbelebt und obendrein gehörig emotionalisiert. Wohin wird da die Reise künftig gehen?
Wir versuchen, die jetzt erreichte Vorreiterrolle von TAG Heuer im Bereich des so bezeichneten «Accessible Luxury» nicht nur zu behaupten, sondern noch weiter auszubauen. Dafür haben wir einen Chronografen mit Tourbillon- Gangregler zu einem sehr kompetitiven Preis entwickelt. Derzeit entwickeln wir ein ewiges Kalendarium, das wir mit einem Chronografen und einem Tourbillon-Gangregler kombinieren werden. Dank richtungsweisender Entwicklungsmethoden können wir die Stückkosten sehr niedrig halten und diese Uhren dann unseren Kunden zu äusserst attraktiven Preisen anbieten.

Sie gelten nicht nur als Macher und Visionär, sondern auch als Marketinggenie. Wie wollen Sie die neue Generation von Käufern, die Digital Natives, für die mechanische Armbanduhr begeistern? Genügen Innovationen oder braucht es ebenso handfeste Emotionen?
Innovation und Emotion gehen Hand in Hand. Die Entstehung von emotional aufgeladenemDesign wird heute durch Innovationen begünstigt. Ein Beispiel: In unserem Labor in Nyon bei Hublot entwickeln wir selbst rote Keramik und neue, ultraleichte Gehäusematerialien, die das Gewicht der ganzen Uhr deutlich unter 25 Gramm drücken. Der Begriff «Superleggera» gewinnt demnächst auch am Handgelenk an Bedeutung.
Haben Sie ebenso ein Angebot für den traditionellen Uhrensammler, also für die Anhänger der Old School?
Natürlich! Denken wir an die TAG Heuer «Monaco V4», die Guy Sémon für uns zur Serienreife entwickelt hat, oder die legendäre «Monaco», deren Mythos Steve McQueen begründete, oder die soeben vorgestellte TAG Heuer «Autavia», die einst Jochen Rindt trug. Die ruhmreiche Geschichte von TAG Heuer und Zenith wird uns auch künftig inspirieren. Es werden definitiv weitere Klassiker folgen.
"Die ruhmreiche Geschichte von TAG Heuer und Zenith wird uns auch künftig inspirieren. Es werden definitiv weitere Klassiker folgen."
Zuletzt eine Frage an den Kosmopoliten Jean-Claude Biver. Wer Sie kennt, der weiss, dass Sie überall auf der Welt zu Hause und ständig auf Achse sind. Welcher Ort, welche Stadt begeistert Sie immer wieder aufs Neue?
Die Stadt, die mich immer noch fasziniert und zu überraschen vermag, ist Tokio; zudem liebe ich Japan und die Menschen in diesem Land.
Gibt es eine Bar oder ein Hotel, das Sie uns empfehlen wollen?
Das «Soho Hotel» in Berlin. Es ist mein Lieblingsstadthotel.
Etwas, das man Ihrer Meinung nach unbedingt einmal besucht, erlebt und gesehen haben muss?
Den alljährlichen Alpabtrieb im Herbst zusammen mit den Kühen und den Bauern, die nach vier Monaten auf der Alp wieder nach Hause zurückkehren. Jeder sollte einmal von der Alp bis in den Stall im Tal mitmarschiert sein.