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17. Juni 2020 | Lifestyle

DAS GESPÜR FÜR WELLEN

DAS GESPÜR FÜR WELLEN
Nur wenige kennen Galway. Dabei zählte die westirische Stadt einmal zu den wichtigsten Häfen an der europäischen Atlantikküste. Nach der grossen Hungersnot kam das Vergessen. Längst auferstanden, verwandelte sich Galway vom Fischerdorf in die pulsierende Kulturhauptstadt Irlands.
An Nimmo’s Pier klatschen die Wellen wild gegen die alte Hafenmauer, dass es nur so spritzt. Kommt es in Irland sonst meist nass von oben, hier kommt es von unten. Der Corrib River, einer der kürzesten und schnellsten Flüsse Europas, drängt rasend in die Galwaybucht, wo ihn der weite Atlantik verschluckt. Auf Irisch heisst er Abhainn na Gaillinhe, «steiniger Fluss».
Kein Platz für Angsthasen. Doch genau an diesem strategischen Ort baute im frühen 12. Jahrhundert Turlough Mór O’Connor, Fürst von Connaught, sein Fort. Eine Lage, die kühne, wetterfeste Naturen mit Geschäftssinn hervorbrachte. Fischfang und Hafen florierten. Das lockte Eroberer an. Die Herrschaft der «Tribes of Galway», vierzehn begüterte Clans, erwies sich als Glücksfall. Ihnen verdankt Galway den Aufstieg zum Handelszentrum mit Beziehungen zu Grossmächten wie Spanien oder Frankreich und in die Karibik. Sogar Christoph Kolumbus ging 1477 hier an Land.
KUSS VOM HERING
Bis heute teilt der Corrib die Stadt. Auf der anderen Flussseite erstreckt sich der Long Walk, die fotogenste Ansicht von Galway, wo einst Seilmacher und Kaufleute ihren Geschäften nachgingen. Diesseits in Claddagh wohnten die Fischer in einfachen Reetdachhütten, die vor gut hundert Jahren verschwanden. «Ich bin der Letzte», sagt Ciaran Oliver stolz und bitter zugleich. Wie seine Vorfahren stammt er aus Claddagh, wo sich Generationen von Hering, Kabeljau, Lachs und Schiffbau ernährten. Zu den besten Zeiten um 1820 zählte es 3 000 Einwohner. «Alle haben den Beruf an den Nagel gehängt», erklärt der 46-Jährige, der heute Langusten und Shrimps fängt. Zu viel Brüssel, zu wenig Fische, so sein Fazit. Gegen den Brexit sei er trotzdem.
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Sein entschlossener Blick aufs Meer verrät, dass das maritime Kapitel für ihn nicht abgeschlossen ist. «Das Wissen um unsere Vergangenheit muss bewahrt werden», sagt er. Oliver versteht sich als Retter der Tradition. Mit seinem Kutter macht er historische Bootstouren, restauriert abgewrackte Fischerboote, sogenannte Hookers, und unterstützt das Museum «Katie’s Claddagh Cottage», in dem Besucher ein Gefühl für das einstige Fischerleben bekommen.«Es war karg, aber nicht armselig», sagt er beim Tee. Heringe schwammen immer in die Netze. Selbst während der Hungerkatastrophe von 1845, als Missernten bei der Kartoffel das ganze Land in Not stürzte. Millionen starben, Millionen emigrierten. «The Great Famine» verursachte auch in der Biographie von Galway einen Knick. Doch Aufstieg und Fall kommen in Wellen. Heute rühmt sich die 80 000-Einwohner-Stadt ambitioniert als die heimliche Kultur-Hauptstadt Irlands. Gut 12 000 Studenten treiben ihren Puls in die Höhe. Seit der einst grösste Hafen von Irland vom Meer nichts mehr erhofft, hat sich sein Gesicht verändert.
Vor gut 20 Jahren wurde bei den Docks eine Marina für Segelschiffe und Luxusyachten gebaut. Im Hafen schwimmen mehr Schwäne als Boote. Dass in den Fluten einmal der Mastenwald einer Handelsflotte ächzte und hunderte Hookers ankerten, lässt sich nur im City Museum am Spanish Arch, dem mittelalterlichen Stadttor, nachvollziehen.
FENSTER ZUM MEER
«Galway war immer eine zum Meer gewandte Stadt», erklärt Marilyn Gaughan Reddan. Das Motto für die Kulturhauptstadt 2020 «Making Waves» war daher schnell gefunden. «Die Welle ist Bewegung», sagt die Programmdirektorin euphorisch. Energie, die aufwühlt, die irritieren oder auch Neues, womöglich nie Gewagtes, hervorbringen kann. Welle ist Ebbe und Flut, Freude und Angst, Inspiration und Nachdenklichkeit. Diese Gegensätze spiegeln sich in Festivals, Aktionen, Filmen, Musik oder Theater. Auch heikle Themen wie Migration oder Selbstmord werden behandelt. Licht und Feuer, die Wurzeln des keltischen Kalenders, durchziehen das Programm. Das wohl ambitionierteste Spektakel ist der Drahtseilakt über dem reissenden Corrib: 400 Menschen sollen den Fluss 2020 Minuten lang überqueren.
«Galway 2020» will ab Februar nächsten Jahres Wellen schlagen, bis weit über Europa hinaus. «An meitheal» das gälische Wort für Gemeinschaft und Zusammenstehen, liegt Reddan besonders am Herzen:

 

Wir heissen alle willkommen und wollen keinen wieder gehen lassen.
Marylin Gaughan Reddan, Programmdirektorin

 


Von der Hauptstadt Dublin sind es nach Galway drei gute Autostunden. Vorbei an Feldsteinmauern, Rhododendronhecken und grasenden Schafen wartet im grünen Connemara, keine 70 Kilometer entfernt, das Hotel «Ballynahinch Castle», ein Ort von spektakulärer Ruhe. Wer Wert auf unprätentiösen Luxus, Understatement und familiäres Ambiente legt, ist hier richtig. Näher an der Stadt liegt etwa das stilvolle 5-Sterne-Hotel «Glenlo Abbey», ein gut geführtes Haus mit Golfplatz, Spa und perfektem Service.
Die Auswahl ist gross, auch bei Restaurants. Feinschmecker gehen abends etwa ins «Loam», das seinen Michelinstern seit 2016 verteidigt. Minimalistisch wie das Industriedesign ist auch die Karte. Man wählt ein Menü mit zwei bis drei exquisiten Gängen oder das Degustationsmenü, die nach saisonalen Kriterien wechseln. Locker und unkompliziert geht es im «Kai Restaurant» in Westend zu. Die Chefin Jessica Murphy schwört auf kreative Slow-Food- Küche. Mittags kommen Salatkombinationen mal vegetarisch, mal mit Fleisch oder Fisch auf den Tisch, abends regionale Gerichte.
AUTHENTIZITÄT UND GEMÜTLICHKEIT
Der authentische Charme offenbart sich schnell im Umfeld der vibrierenden Shop Street, der Fussgängerzone zwischen Eyre Square und der Wolfetone Brücke über den Corrib. Antik wirkende Buchhandlungen, Wollpullover- und Souvenirshops reihen sich aneinander, Juweliere, die den berühmten Claddagh-Ring verkaufen, ein Liebesring, den jede Galwegian besitzt. Fassaden sind in knalligem Kleeblattgrün, Kornblumenblau oder Feuerwehrrot lackiert. Strassenmusiker, Akrobaten und Spassmacher bevölkern die Gehwege. Alles ist leicht zu Fuss zu erreichen – Sehenswürdigkeiten wie die St.-Nicholas- Kathedrale oder das Lynch-Castle, unzählige Läden und Bistros mit eigenen Konzepten. Die Altstadt ist herrlich resistent gegen die üblichen amerikanischen Fast- food- oder Coffeeshop-Ketten und umwerfend gelassen. Eine Kellnerin fragt zuerst: «Hi dear, how are you doing?» Am Tresen grüsst der Kneipenwirt: «Fucking good to have you here!»
Nirgendwo begegnet man den Galwegians so hautnah wie im Pub, wo man sie schwatzlustig, heiter und lässig erlebt. Obwohl Mairtin O’Connor einer der bekanntesten Vertreter traditioneller irischer Musik ist, liebt der gebürtige Galwegian die heimischen Pubs. Das Pub oder «Public House» mag anderswo sterben: Hier stehen 464 zur Wahl, Zentren des irischen Lebens, das öffentliche Wohnzimmer, ein Treffpunkt zum Alkoholverzehr mit Familienanschluss. Hinter der Tür schlägt einem eine Welle aus Reden, Gelächter und Folkmusik entgegen. Der Inhalt der Halblitergläser ist so schwarz wie der Torf, der im Umfeld gestochen wird. Hungrigen wird deftiges Irish Stew serviert, Gemüseeintopf mit Hammel. «Die melancholischen Lieder führen zusammen, geben Halt», betont O’Connor. In einer Zeit, wo die Sitten verrohen, Werte und Gemeinschaft an Gier und Profitdenken verloren gehen, sieht er in ihnen Balsam und Kitt. «Unsere Seele sehnt sich nach Sinn, Harmonie, Hoffnung.» Das liege den Iren in den Genen.
Das Meer steht auch für O’Connor im Zentrum seiner Kompositionen für das Kulturjahr 2020. «Der Dialog mit der Naturgewalt definiert unsere Beziehung zur Umwelt», meint der Musiker. Der Ozean mag brutal sein; er lehrt Menschlichkeit: «Er mahnt uns nachzudenken über die Art und Weise, wie wir leben.»